zwischen WOLKEN

 

 

 

Wolken dienen in dem Fall als Anreger der Phantasie und Ideengeber für eine künstlerische Auseinandersetzung.

 

 

 

Das Dazwischen bezieht sich zunächst auf die physische Ebene des Sehens und der Wahrnehmung, einem Prozess von äußerer und innerer Bewegung.

 

 

 

Zwischen mir und dem mich Umgebenden findet ein Austauschprozess statt. In der Regel ist das erwachsene menschliche Gehirn so angelegt, dass die im Laufe der Jahre entwickelten Strukturen und Muster entscheidenden Einfluss auf das Sehen haben. Für mich geht es um das Erforschen und Ausloten zwischen dem Sichtbaren und dem Gespeicherten.

 

 

 

In Folge entwickelt sich der Prozess des Entdeckens zwischen mir und dem Bild und dann noch später zwischen ihm und dem Betrachter.

 

 

 

Das Dazwischen in der Bildgestaltung auf der zweidimensionalen Fläche verweist auf die Korrelation und Gleichwertigkeit von Figur und Grund. Bewegungen werden mehr oder minder im Pinselduktus aufgenommen und umgesetzt. Flächen, Rhythmen, Strukturen, Formen, Formationen und Zwischenräume entstehen.

 

 

 

und dahinter

 

 

 

„dahinter“ als metaphysische Ebene lässt sich auf die Welt der Vorstellung beziehen. Sollte das Bedürfnis nach kunstgeschichtlicher Verortung bestehen, wäre eine Zuordnung zur Phantastischen Kunst und zum Surrealismus möglich.

 

 

 

Paradies- und Himmelsvorstellungen begleiten das Menschsein in Kunst, Religion, Philosophie, Literatur, Poesie. Ebenso suchen die Naturwissenschaften die Welt hinter dem sinnlich Wahrnehmbaren zu ergründen.

 

 

 

„Die Welt ist alles, was der Fall ist.“ Wittgenstein

 

 

 

texte

  

 

         

       ZWISCHEN WOLKEN UND DAHINTER

 

 

                                       Der Gedanke kommt

 

                                                                                      beim Sehen

 

                                                                                                                    beim Zeichnen

 

                                                                                      beim Malen

 

 

      Alles Wahrnehmen ist auch Denken,
         alles Denken ist auch Intuition,
         alles Beobachten ist auch Erfinden.“

                                                                                               Rudolf Arnheim: "Kunst und Sehen", 1978

 

 

 

Der Gedanke kommt beim Sehen

 

Im Augenblick entstehende Bilder in der Natur. Motive bedingt durch Bewegung. So gehe ich offenen Auges in die mich umgebende Landschaft, sehe mehr oder minder bewusst Pflanzen, groß und klein, Konstellationen, Wolken, Lichtstimmungen. Manchmal kommen Augenblicke, in denen ich etwas wahrnehme, ein Bild erahne, es versuche zu speichern, es später zu erinnern. Irgendwann kann ich das bewusst wie auch unbewusst Aufgenommene wieder herauslassen. Da finde ich meine Quelle. Etwas Gesehenes taucht wieder auf, stellt sich ein. In seinen organischen Strukturen und Formen spüre ich ihm nach, mal mehr oder weniger gesteuert, lasse Eindrücke der Erinnerung einfließen, modifiziere sie, lasse mich überraschen.

 

So ist es einerseits die Vertrautheit mit der sichtbaren Welt und zugleich die Fremdheit gegenüber, Natur zu sein und gleichzeitig sie als Objekt zu betrachten, sich ihr gegenüber stellen. Aber ich möchte sie nicht abbilden, die Ansicht wiedergeben. Ich möchte Eintauchen in natürliche Prozesse, Strukturen und Aufspüren, Nachspüren, nicht unähnlich einem Seismographen, Entdecken, Entwickeln, Umformen – transformierte Beobachtung. Nach den Gesetzen der Natur schaffen, Wahrnehmung von außen nach innen, im ständigen Wechselspiel, von innen nach außen. Ein Bild kann zur Überraschung werden, eine Wendung zum Ungewöhnlichen, zum so noch nicht Dagewesenen.

 

Grundlegende Gedanken finden sich für mich in folgender Textpassage von Novalis, der Beginn der „Lehrlinge zu Sais“:Mannigfache Wege gehen die Menschen. Wer sie verfolgt und vergleicht, wird wunderliche Figuren entstehen sehn; Figuren, die zu jener großen Chiffernschrift zu gehören scheinen, die man überall, auf Flügeln, Eierschalen, in Wolken, im Schnee, in Kristallen und in Steinbildungen, auf gefrierenden Wassern, im Innern und Äußern der Gebirge, der Pflanzen, der Tiere, der Menschen, in den Lichtern des Himmels, auf berührten und gestrichenen Scheiben von Pech und Glas, in den Feilspänen um den Magnet her, und sonderbaren Konjunkturen des Zufalls, erblickt. In ihnen ahndet man den Schlüssel dieser Wunderschrift, die Sprachlehre derselben, allein die Ahndung will sich selbst in keine feste Formen fügen, und scheint kein höherer Schlüssel werden zu wollen. Ein Alkahest scheint über die Sinne der Menschen ausgegossen zu sein. Nur augenblicklich scheinen ihre Wünsche, ihre Gedanken sich zu verdichten. So entstehen ihre Ahndungen, aber nach kurzen Zeiten schwimmt alles wieder, wie vorher, vor ihren Blicken.“

Nun fand er überall Bekanntes wieder, nur wunderlich gemischt, gepaart, und also ordneten sich selbst in ihm oft seltsame Dinge. Er merkte bald auf die Verbindungen in allem, auf Begegnungen, Zusammentreffungen. Nun sah er bald nichts mehr allein. – In große bunte Bilder drängten sich die Wahrnehmungen seiner Sinne: er hörte, sah, tastete und dachte zugleich. Er freute sich, Fremdlinge zusammenzubringen. Bald waren ihm die Sterne Menschen, bald die Menschen Sterne, die Steine Tiere, die Wolken Pflanzen, er spielte mit den Kräften und Erscheinungen, er wußte wo und wie er dies und jenes finden, und erscheinen lassen konnte, und griff so selbst in den Saiten nach Tönen und Gängen umher.“

 

Der Gedanke kommt beim Zeichnen

 

Im Augenblick entstehende Bilder bzw. Zeichnungen – neben den immer wieder konkret beobachteten Naturstudien – sind oft der Auslöser für eine Arbeit. Ein Motiv (movere = bewegen) setzt Bewegung voraus. Und die Bewegung kann zum Motiv werden. So lasse ich im Akt des Zeichnens die Gegenstände, Pflanzen, Tiere, Menschen in Teilen wieder auftauchen, sie stellen sich ein, mehr oder minder deutlich. Täglich setze ich mich hin zum Zeichnen, ein weißes Blatt Papier aus meinem Zeichenbuch vor mir, setze den Bleistift willkürlich auf und lasse Striche entstehen. Ich beginne Spuren zu hinterlassen, spontan, ohne Überlegung, folge intuitiv dem Fluss der Striche und Linien, nur das gerade Entstehende im Fokus, eine Richtung ergibt sich aus der anderen, Schwung und Gegenschwung. Der Gedanke kommt beim Zeichnen. Bei Heinrich von Kleist findet sich der Satz „l’idée vient en parlant“ - „Der Gedanke kommt beim Reden“, „… von einer allmählichen Verfertigung des Gedankens aus einem in der Noth hingesetzten Anfang, in seinem Buch „Ueber die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“.

 

Strichgefüge entwickeln sich zu Strukturen, Linien werden aufgespürt, gebogene oder gerade, schwächere oder stärkere, kürzere oder längere, steigende oder fallende, noch sehr fragil. Spurensuche, mal mehr oder weniger deutlich, eine Ahnung, der Gestalt gegeben wird, der ich im Prozess des Zeichnens Raum gebe, manchmal unbewusst, manchmal kommen Einfälle hinzu, denen ich nachgehe, nachgebe, nachspüre, Zeichen, Muster, Gespeichertes, ich lasse mich überraschen und lenken. Manchmal begegnen sich Linien, wiederholen sich. Ich fahre ihnen nach, verstärke sie, akzentuiere sie, oder vernachlässige sie, gebe sie auf. Verläufe werden registriert, Formbildungen, Verteilungsgefüge werden verdichtet, geklärt. Etwas nimmt Gestalt an, wird bezeichnet, ohne Bedeutung, außer der, ein sich einstellendes Bild zu werden und zu sein. Ich ahne eine Komposition, sie wird spürbar, sie entsteht. Das Format wird ausgelotet, Bezüge hergestellt, Formen und Flächen verteilt, markante Punkte, Stellen, Strukturen, Flächen. Es kommt vor, dass ich bei einer späteren Durchsicht etwas verändere, etwas hinzufüge oder wegnehme.

 

Manche Zeichnungen bleiben Strukturgefüge, freie Kompositionen, ohne ersichtliche Bedeutung. Bei einigen kann sich, früher oder später auch eine Formation ergeben, die mich erinnert - an Gesehenes , Erlebtes, Bekanntes, an Landschaft, Pflanze, Tier, Mensch, Organisches, nur in neuem Kontext zusammengeführt. So können sich sonderbar fremdartige Figuren und Figurationen bilden, ans Licht kommen, Phantasiegebilde. Auf diesem zeichnerischen Weg lasse ich meinen Assoziationen freien Lauf, wie es später auch der Betrachter tun sollte. Scheinbar aus dem Nichts entstehen diese Zeichnungen. Selten ist es die Absicht etwas abzubilden. Es sind Anregungen für Entdeckungsreisen im Phantasievollen Wechselspiel von Innen und Außen.

Oft bilden meine Zeichnungen den Ausgangspunkt und die Grundlage als Kompositionsgerüst für eine Malerei. Sie sind dabei aber auch weiterhin als eigenständige Arbeit zu sehen, nicht nur als Skizze bzw. Vorarbeit zur Malerei.

 

Der Gedanke kommt beim Malen

 

Die Malerei kann sich auf eine meiner Zeichnungen beziehen, sie kann sich aber auch direkt ohne Vorzeichnung auf der Bildfläche entwickeln. In beiden Fällen geht es um das Ausloten informeller und figurativer Strukturen im Malprozess.

 

Im ersteren Fall wähle ich nun intuitiv einzelne Zeichnungen aus, die mich ästhetisch ansprechen, wobei es oft die klarere Komposition ist, die den Ausschlag gibt. Die Auswahl kann aber auch motivisch begründet sein. Im Grunde bin ich weiterhin auf dem Weg einer Entdeckungsreise, wobei sich ständig Ab- und Veränderungen ergeben können, sei es bei Formen und Farben, sei es kompositionell oder motivisch. Im Malprozess können neue Figurationen, Spiele des Zufalls, entstehen, mehr oder minder unabhängig von der zu Grunde liegenden Zeichnung.

 

In der Regel wähle ich also eine wie eben beschriebene Struktur aus, übertrage sie mit kleinem Pinsel in Krapprot frei Hand auf eine hellgrau grundierte Leinwand bzw. einen Untergrund wie Papier, Holz usw. Es können bei diesem Vorgang schon leichte Veränderungen vorgenommen werden, manchmal erst nach eingehender Betrachtung, wenn die so entstandene Komposition überprüft wird. Im nächsten Arbeitsschritt lasse ich mich auf Farben ein. Meist geschieht dies ebenso spontan wie im Zeichenprozess, manchmal war schon eine Farbidee bzw. eine erste Farbvorstellung vorhanden. Diese kann sich auf eine vorher erlebte Lichtsituation in der Natur beziehen, oder aber sie entspricht einem inneren Impuls. Nach einer Weile der Betrachtung ergeben sich erste Farbansätze, manchmal mit nur einer Farbe. Zuweilen ergibt sich aber schon ein Farbakkord, ein Farbklang. Erste Flächen werden in einer nun bestimmten Farbe aufgetragen, weitere folgen, lasse nun die Farbwahl, Farbkombination, Farbauftrag sich entwickeln, mal mehr oder weniger gesteuert, lasse mich auch hier überraschen, Veränderungen können auftreten, ergeben sich mehr oder weniger. Und so folgen im Rhythmus von Farbauftrag und -auswahl zu Phasen der Betrachtung die nächsten Arbeitsschritte. Es entsteht ein Wechselspiel zwischen Betrachtung und Farbauftrag. Ich bin ein Form- und Farbensteller, ein Fallensteller für Spuren von Augenblicken. Wichtig ist mir dabei in jedem Fall, dass ich beim Malen ohne Kunstlicht auskomme. Das würde in meinen Augen die nuancierte Interaktion der Farben stören.

 

Einzelne Bilder gelingen auf Anhieb, sind in meinem Sinne stimmig, andere brauchen unter Umständen Tage, Wochen oder gar Monate, bis sie von mir als fertig angesehen werden. Manche werden nie fertig, siehe Bonnard, der manchmal nach Jahren, wenn das Bild schon lange an der Wand in einem anderen Haus hing, bei einem Besuch feststellte, dass er noch einmal Veränderungen vornehmen müsse.

 

April 2020